“Rumpelfußball”-Serie Teil 16 – EM 1996 (Finale): Deutschland 2, Tschechien 1 (n.V.)
Das letzte Hurra des Herrenfußballs
Deutschland im EM-Finale gegen eine Überraschungsmannschaft: Da klingelt doch etwas… Jedoch nur vordergründig, denn im Gegensatz zu 1992 steht Deutschland mit einem Rumpfkader da. Zwar gibt es nur 4 offizielle Positionsänderungen gegenüber dem ersten Tschechien-Spiel (Strunz statt Reuter, Babbel für Kohler, Scholl für Möller und Klinsmann für Bobic), jedoch waren auch einige Spieler in der Startelf angeschlagen. So wurde erst eine Stunde vor Anpfiff klar, dass Klinsmann mit seinem vor 8 Tagen (gegen Kroatien) erlittenen Muskelfaserriss aufläuft. Marco Bode, René Schneider und Oliver Bierhoff waren die einzigen Feldspieler auf der Bank, alle anderen gesperrt oder verletzt. Für die beiden Olis, Kahn und Reck, wurden Feldspielertrikots angefertigt.
Bei den Tschechen spielten im Gegensatz zum ersten Spiel Patrik Berger und Karel Rada, sie ersetzten Latal und Frydek. Die Hochkaräter Italien (2:1), Portugal (1:0) und Frankreich (Elfmeterschießen) standen bereits auf der Opferliste der Tschechen, das war keine Mannschaft von Pappe. Das „Hinspiel“ hatte Deutschland zwar im Griff, aber nach diesem Turnierverlauf war eine Mannschaft mit Topleuten (auch wenn ihr Stern erst etwas später voll aufging) wie Nedved, Berger, Poborsky und Kuka nie zu unterschätzen.
Wirklich schön atmosphärischer Einzug der beiden Mannschaft zu Beethovens Hit „Freude, schöner Götterfunken“ (feat. Schiller). Dazu die Queen – genau beäugt von Oli Reck – toll eingekleideten Trompetern sowie Soldaten, die so richtig schön dicke Wummen präsentierten. Bei der englischen Hymne sangen immernoch große Teile des Publikums lauthals mit, ebenso wie bei der deutschen Hymne alle 11 DFB-Akteure 😉 So viel zum Klimbim, nun rein ins Spiel!
Tschechien hatte keine Angst und ließ die Deutschen kommen, um dann in recht gefährlich aussehende Speedkonter über Kuka oder Nedved auszubrechen. Genau das brachte eine gute Gelegenheit in der 14. Minute, als Poborsky nach einer Kuka-Flanke leicht bedrängt den Ball im Fallen übers Tor bugsierte. Unterdessen wurde von Kommentator Réthy angesprochen, dass es einige Kritiker gibt, die Vogts vorwerfen noch keinen Titel in seinen zwei Anläufen gewonnen zu haben. WOW, wenn die wüssten! 😀 Nach etwas über einer halben Stunde schoss Eilts Klinsmann an, der Ball wurde daraufhin wieder hereingegeben zu Kuntz, der am Fünfer aus der Luft annahm. Kouba konnte parieren, der Ball senkte sich aber bedrohlich über ihn aufs Tor zu, wo Rada auf der Linie retten konnte. Erste große Schangse!
In der 41. Minute vergab Kuntz eine weitere, als er links im 16er von Ziege angespielt wurde und – zugegeben in recht spitzem Winkel – frei vor Kouba auftauchte. Das Problem war, dass er viel zu lange zögerte und so den Ball gegen Kouba mit einem im Ansatz missglückten Heber vertändelte. Im Gegenzug gelang es Pavel Kuka, Dieter Eilts den Ball abzuluchsen und in ähnlicher Manier auf Köpke zuzustürmen. Der jedoch schloss die Ecke äußerst souverän – Glück, dass Kuka den freien Poborsky in der Strafraummitte übersah! Der angesprochene Eilts, der übrigens von Réthy als „fleißiges Lieschen“ tituliert wurde, muss kurz vor der Pause verletzungsbedingt (was sonst) raus und wird durch Marco Bode ersetzt, der eigentlich auch an einer Oberschenkelzerrung litt – soviel zum Zustand der deutschen Mannschaft 😀
Tschechien spielte nach der Pause mehr Pressing und die Konter wurden brenzliger, wie in der 59. Minute, in der Poborsky von Sammer leicht außerhalb des 16ers zu Fall gebracht wurde. Réthy unterstellte zudem eine Schwalbe, kann ich so nicht eindeutig unterstreichen. Der Schiedsrichter jedenfalls gab unglücklicherweise den Elfer, bei der voller Geschwindigkeit aber auch ur schwer zu sehen. Denkbares Pech beim Elfer, denn der Ball von Berger flutschte knapp unter Köpkes Körper hindurch zum 0:1.
Jetzt kam etwas mehr Schwung rein. In der 70. dann der „Wechsel des Jahrhunderts“ 😉 – angeblich auf anraten seiner Frau wechselte Vogts Bierhoff für Scholl ein. Drei Minuten später fuchst sich jener nach Freistoßhereingabe von Ziege hinter der Abwehr hindurch und erzielt per Kopf mit seinem insgesamt zweiten Ballkontakt den Ausgleich! In der Folge hält das Tempo weiterhin an, keiner spielte zwingend auf die Verlängerung. Gute Chancen durch Bode und Klinsmann folgten, ebenso für den eingewechselten Vladimir Smicer, der laut Réthy „am Freitag noch schnell geheiratet hat in Prag“ und mit einem satten Schuss Köpke zu einer ansehnlichen Parade zwang.
Das ganze endete nach kurzer Nachspielzeit in der Verlängerung, die Sammer zur Entspannung nach SEINER Art nutzte: Nämlich den total eingeschüchterten Berti Vogts wild gestikulierend vollzumotzen 😀 Was für ein Original. Bei Anpfiff der Verlängerung wird mir klar, dass Christian Ziege für mich der hinter Bierhoff etwas vergessene Star dieses Spiels war. In der Offensive einige Chancen eingeleitet und auch beim ruhenden Ball (Stichwort 1:1) geglänzt. Defensiv viel gelöst, wenn es sein musste auch mal mit ruppigen (aber fairen oder zumindest grenzwertigen) Tacklings, dazu strahlte er das Harte-Verteidiger-Arschloch-Image sehr gut aus, wie seine „heul doch“-Geste eben Anfangs der Verlängerung gegenüber dem Gegenspieler, den er Sekunden vorher fällte (gab Gelb!), bezeugt. Gefiel mir in diesem Spiel außerordentlich, der Mann.
In der Verlängerung gab es eigentlich nur zwei Gelegenheiten zu bestaunen. Patrik Berger verpasste knapp, als der Ball über den linken Giebel zischte – kleine Schrecksekunde für Deutschland. Dann fiel das historische Golden Goal schon nach fünf Minuten: Helmer schlug einen langen Ball quer über das gesamte Spielfeld auf Bierhoff, der ihn rechts zu Klinsmann per Kopf weiterleitete. Dieser flankte zurück in die Mitte zu Bierhoff, der gegen Karel Rada (nicht Kadlec, wie Réthy zuerst meint) den Ball abschirmte, sich rechts herum drehte und abzog. Kouba flutschte der Ball durch die Hände und trudelt recht unzeremoniös Richtung Innenpfosten ins Tor – sicherlich nur der hässliche kleine Bruder eines Final-Traumtores, aber egal: Deutschland war Europameister!
Was Tschechien angeht, durch diese Golden Goal Regel den Titel so knapp zu verpassen, war sicher total bitter. Vorallem, wenn man sich vorher durch so viele starke Mannschaften durchgebissen hat. Starke Turnierleistung dieser Mannschaft. Die deutschen Paradefans natürlich happy, die Queen amused, und da ist das Ding!
Fazit: Deutsche Nationalmannschaft 1996
Wirklich ganz oberste Sahne, wie sich die deutsche Mannschaft hier trotz so viel Verletzungspech zusammengerauft und das wirklich maximale aus dem Turnier rausgeholt hat: Bertis damaliger Slogan „die Mannschaft ist der Star“ kommt mir in Retrospekt recht glaubwürdig rüber. Ein wenig lässt sich – klar, kann man 20 Jahre später leicht sagen – schon ein Wachwechsel erahnen. Jüngere, athletischere aber auch sehr talentierte Mannschaften wie Kroatien und Tschechien waren im Prinzip auf Augenhöhe, es mangelte aber noch an der gewissen Cleverness. Ein „Last Hurrah“ der guten alten 90er-Generaton, da von den 96er Stammkräften bei der WM 98 lediglich Ziege, Babbel, Scholl, Freund und Bobic unter 30 sein würden/waren, das aber auch zum Teil nur äußerst knapp. Wie sich das alles ausspielt, sieht man dann in den nächsten Rumpelfußball-Blogs über die berühmt-berüchtigte Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Jetzt aber erstmal allen viel Freude am modernen Herrenfußball bei der anstehenden EM 2016 in eben jenem Frankenreich. Bis dahin kommt kein WM 98 Post – Dazu passt es jetzt zu schön mit dem 96er Finale 😉